Was ist christlicher Gottesdienst?

Das Spannungsfeld zwischen "sonntäglicher" Versammlung und "alltäglicher" Nachfolge


Einleitende Gedanken

Im christlichen Vokabular bedeutet „Gottesdienst“ die sonntägliche Versammlung. Davon zeugen schon die Gemeindeinternetseiten, die auf die Gottesdienstzeiten verweisen. Was ist aber unter dem christlichen Gottesdienst zu verstehen und welche Auswirkung hat er auf die tägliche Nachfolge? 

Persönlich beschäftigt mich die Thematik als Christ im allgemeinen, aber auch als einer, der selbst regelmäßig predigt und Gottesdienste leitet. Über das persönliche Interesse hinaus, glaube ich, dass die Thematik für die Gemeinde und den einzelnen Christen relevant ist. Denn wenn wir nicht verstehen, was wir tun, wird das was wir tun auch geringe Auswirkung haben. Der Christ sollte wissen, warum er die sonntägliche Versammlung besucht und diejenigen, welche diese Versammlung gestalten, sollten erst recht verstehen, was der Sinn des Ganzen ist. Diese Arbeit vermag nicht die Thematik umfassend zu behandeln, sie unternimmt lediglich den Versuch Antworten auf die nachfolgende Fragen zu geben.

Fragestellung

Die Fragenstellung lautet: Was ist christlicher Gottesdienst? Welches Verhältnis besteht zwischen „sonntäglicher“ Versammlung und „alltäglicher“ Nachfolge? Daraus ergeben sich dann Antworten auf die Fragen: Welche Bedeutung hat die „sonntägliche“ Versammlung für die „alltägliche“ Nachfolge? Welche Konsequenzen hat die „alltägliche“ Nachfolge auf die „sonntägliche“ Versammlung? Und als Konsequenz für die praktische Reflexion Antworten auf die Frage: Wie kann die gottesdienstliche Versammlung so gestaltet werden, dass sie für die „alltägliche“ Nachfolge fruchtbar wird?

Ziel

Aufgrund der exegetischen und theologischen Grundlegung, sollen Antworten gefunden werden, die als Leitlinien für die praktische Reflexion der „sonntäglichen“ Versammlung dienen können. 

Methodik

Es wurde von der Fragestellung her zunächst eine exegetische Textbetrachtung durchgeführt. Hierzu ging ich von Röm 12,1-2 aus, da diese Stelle den christlichen Gottesdienst reflektiert und daher als geeignet erschien. Hier wurden dann die exegetischen Schritte durchgeführt (Situationsanalyse, Kontextanalyse, grammatisch-wörtliche Übersetzung, Textschaubild, Übersetzungsvergleich, Wortstudien, Sachanalyse, Grammatiken konsultiert und die Ergebnisse mit Kommentaren verglichen[1]). Danach wurde eine theologische Reflexion der Fragestellung durchgeführt. Dazu diente der Entwurf von Ernst Lange als Grundlage[2], da dieser pointiert das durch die Fragestellung aufgeworfene Spannungsfeld thematisiert. Abschließend dazu wurden Thesen in Bezug auf die Fragestellung formuliert, welche dann in einem weiteren Schritt aus pfingstlicher Perspektive praktisch-theologisch reflektiert wurden. Methodisch wurde also der Weg über die exegetisch-theologische Grundlegung hin zur praktisch-theologischen Reflexion beschritten. 


[1]Methodenbücher vgl. Söding/Münch und Neudorfer/Schnabel.

[2]vgl. Lange


Exegetischer Ertrag Röm 12,1-2

Vorbemerkungen

Der Römerbrief wurde von Paulus (1,1) wahrscheinlich im Jahre 55/56 n.Chr. am Ende der dritten Missionsreise (Apg 18,23) in Korinth[1]verfasst, indem er ihn einem gewissen Tertius diktierte (16,22). 

Der Brief richtet sich an alle „Geliebten Gottes, berufenen Heiligen in Rom“ (1,7). Der Schluß des Briefes zeigt, dass hierin unterschiedliche Hausgemeinden angesprochen sind (Röm 16,3ff.; vgl. Schnelle:135; Pompe 65f). Christliche Versammlungen in Wohn-Häusern sind dabei nichts ungewöhnliches, sondern dies war der gängige Versammlungsort der frühen Christenheit außerhalb Jerusalems. Hierin besteht zum Einen eine Nähe zur Bedeutung des Hauses im Judentum (vgl. Wick 117-130), zum Andern wird hier aber auch der Prozess der Loslösung vom Judentum deutlich. Das Haus ist für die Vermittlung der christlichen Lehre bedeutsam. Hierdurch erfolgt eine Distanzierung gegenüber der Synagoge und dem Judentum (vgl. Wick 239-241).  Gemäß archäologischen Funden kann man bei größeren Häusern auf Versammlungen von bis zu 50 Personen schließen (vgl. Wick:220). „Erst ab dem 3. Jh. tauchen Häuser auf, die ... ausschließlich für Gemeindezwecke genutzt werden. Die sog. Kirchengebäude (Basilika) sind noch später anzusetzen.“ (Pompe:26; vgl. auch Gielen:1216). Obwohl Paulus nicht der Gründer dieser Hausgemeinden zu Rom war, kannte er doch einige Glieder dieser Hausgemeinden persönlich (vgl. Röm 16). Der Fakt, dass der Römerbrief an solche Hausgemeinden gerichtet ist, und nicht an individuelle Einzelpersonen, ist hier einleitend festzuhalten, da dies in Bezug auf unsere Fragestellung von Bedeutung sein wird[2].

Paulus legt den Empfängern im 1. Hauptteil zunächst lehrmäßig das von ihm verkündigte Evangelium der Gerechtigkeit Gottes dar (1,16-8,39), verdeutlicht seine Stellung zu den Juden (9,1-11,30) und kommt dann im 2. Hauptteil zu ethischen Reflektionen (12,1-15,13), welche als Konsequenz des ersten Hauptteils zu interpretieren sind. Auch dies ist für unsere Fragestellung nicht unwesentlich[3].

Wenn wir also unseren Text betrachten, muss dieser Kontext (lehrmäßige Grundlegung, worauf ethische Konsequenzen folgen) vor Augen stehen. Ebenso muss uns gegenwärtig sein, dass dieses Schreiben an Hausgemeinden gerichtet war und eben dort vorgetragen wurde.

Mit Röm 12,1 beginnt der ethische Teil des Römerbriefes. Hierbei wirken V.1-2 als eine Art Überschrift für die danach folgenden Weisungen, die den christlichen Lebenswandel anbelangen (vgl. Michel:367). Diese Verse enthalten zwei Mahnungen, wobei die erste mit einem Infinitiv (παραστῆσαι) gebildet ist und die zweite (V.2) mit zwei Imperativen. Gedanklich unterordnet sich V.2 hierbei V.1 und ist mit diesem sachlich verknüpft, denn das Thema ist die Lebenshingabe, welche der eigentliche Gottesdienst des Christen ist (vgl. Schlier:350-351). 

V. 1 spricht von der leiblichen Hingabe in der Nachfolge, V. 2 von der Veränderung durch die Erneuerung des Sinnes, wodurch der Wille Gottes erkannt werden soll. So wird eine innere Verbundenheit der Verse deutlich, denn die leibliche Hingabe ist nur durch die Erneuerung des Sinnes möglich, wodurch der Wille Gottes erkannt wird, welcher wiederum nur durch die leibliche Hingabe ausgelebt werden kann.

Wir kommen nun zur Versauslegung und ziehen danach ein Fazit, welches in Bezug zu unserer Fragestellung steht.



[1]vgl. Schnelle:130; Kümmel:272. Mauerhofer (:112) datiert ihn auf 57n.Chr.(Ebenso Schlier:2).

[2]Theobald schreibt: „Was Paulus in den Kap. 12-15 paränetisch entfaltet, ist keine Individualethik, sondern Gemeinschaftsethik, die am Aufbau der ἐκκλησία orientiert ist ... Paulus redet seine Adressaten durchweg als Gemeinschaft an, weshalb auch die Erkenntnis des „Willens Gottes“ Frucht eines (wie auch immer zu gestaltenden) dialogischen Prozesses ist ...“ (:299-300).

[3]Zum Anlaß des Briefes vgl. Schnelle (:132).


Vers 1:

(Παρακαλῶ οὖν[1]ὑμᾶς) "Ich ermahne euch", zeigt, dass die ethische Weisung die Konsequenz der lehrmässigen Darlegung von 1,16-11,30 darstellt[2]. Somit steht die ethische Unterweisung auf dem gelegten lehrmäßigen Fundament. Der Begriff παρακαλέω hat eine breite Bedeutung und wird hier treffend mit „ermahnen“ wiedergegeben (vgl. Bauer:1247-1248; Schmitz:792-794), doch muss hierbei auch die „seelsorgerliche“ Seite dieses Begriffes mitgehört werden. 

Paulus ermahnt die Empfänger aufgrund der Erbarmung Gottes (vgl. 2.Kor 1,3; Jak 5,11; διὰ[3]τῶν οἰκτιρμῶν τοῦ θεοῦ[4]). Es geht hierbei also nicht um einen moralisierend erhobenen Zeigefinger, sondern eher um ein ringendes Auffordern. Dieses Erbarmen Gottes hat Paulus im Vorfeld dargelegt. Es kommt im Handeln Gottes mit uns Menschen zum Ausdruck und erreicht in Jesus Christus seinen Höhepunkt innerhalb der menschlichen Geschichte[5].

Von diesem Erbarmen Gottes in Christus ist Paulus ergriffen und von da her ermahnt er die Empfänger (V 1c). Es ist die Liebe, von Gott her und dadurch die entfachte Liebe zu Gott hin, die so mahnend, bittend und herausfordernd zu den Geschwistern (ἀδελφοί) sprechen kann. Der Begriff "hingeben" (παραστῆσαι Aor.Akt.Inf.[6]) ist hier ein Terminus technicus aus der Opfersprache (vgl. Bauer:1268), dies wird durch die Verbindung mit den Begriffen Opfer (θυσία[7]), Gott (θεός) und Gottes-Dienst (λατρεία) unterstrichen. Interessant und sicherlich nicht zufällig ist die Verwendung dieses Begriffes in Röm 6 (V.13.16.19, ebenfalls in Bezug auf die Hingabe der leiblichen Existenz im Dienst an Gott). Die eigenen Leiber (τὰ σώματα[8]ὑμῶν) sollen als Opfer dargebracht werden. Damit wird die konkrete und persönliche Hingabe der eigenen Existenz an Gott zum Ausdruck gebracht. Hierbei gibt es keinen Raum für Weltflucht, sondern im Gegenteil, der christliche Gottesdienst vollzieht sich leibhaftig in dieser Welt. Der Leib ist der Tempel des Heiligen Geistes (1.Kor 6,19), diesen Geist hat der Christ durch die „Wiedergeburt“ (Röm 8,15-17; Gal 4,47; Joh 3) aufgrund des Glaubens an Christus empfangen (Röm 1,16f; Röm 3,23-26). Er ist nun Kind Gottes und Erbe Gottes, weil er aufgrund der „Wiedergeburt“ durch den Geist Gottes, das ewige Leben aus Gott empfangen hat (Röm 6,13)[9]. Somit ist christliche Existenz Verherrlichung Gottes durch den Leib (vgl. 1.Kor 6,19-20). Der Christ soll sein Leben als ein lebendiges, heiliges und gottwohlgefälliges Opfer Gott darbringen. Treffend schreibt Wilckens (:4):

 

>>Lebendig<< (ζῶσαν) ist solches Opfer dadurch, daß die darin wirksame Kraft der Geist als die Auferweckungskraft des lebendigen Gottes (9,26; 2Kor 6,16; 1Thess 1,9) ist (6,11.1; 8,11); >>heilig<< (ἁγίαν) entsprechend dadurch, daß Gott die Christen geheiligt (1Kor 1,2; 6,11), ihnen an seiner Heiligkeit teilgegeben hat (1Petr 1,15f), so daß ihr gesamter Wandel >>Heiligung<< sein soll (6,19.22; 1Thess 4,3); >>Gott wohlgefällig<< (εὐάρεστον τῷ θεῷ) darin, daß der Einsatz der Leiber >>nach dem Geist<< geschehen soll (8,4.13), wodurch allein Gottes Wille getan werden und solches Tun ihm >>gefallen<< kann (8,7f; 14,18; Phil 4,18 vgl. Hebr 12,28; 13,21).

 

Dies verweist auf den Zusammenhang von Indikativ und Imperativ. Aufgrund des Seins (Indikativ) soll der Wandel (Imperativ) erfolgen. Aber nur aufgrund des neuen Seins in Christus ist der Wandel als Christ möglich. Somit besteht hier ein Zusammenhang der nicht voneinander gelöst, aber auch nicht in der Reihenfolge vertauscht werden kann. Der Christ muss sich dessen bewusst sein, damit er sein Leben (Leib) Gott als Opfer hingeben kann. 

Allein diese Hingabe ist daher auch der vernünftige Gottesdienst (1d). Der Begriff λατρεία wird ebenfalls in Bezug auf den jüdischen Gottesdienst in Röm 9,4 verwendet. Damit wird nochmals der kultische Bezug unserer Stelle deutlich und ist treffend mit Gottesdienst zu übersetzten (vgl. Bauer:949). Trotz der gedanklichen Verbindung zum atl. Opferdienst, wird hier der zentrale Unterschied deutlich. Die Opferterminologie ist bildlich zu verstehen und führt in den alltäglichen (profanen!) Bereich des Gläubigen hinein (vgl. Balz:851-852)! Von daher ist der Begriff "vernünftiger" (λογικός vgl. Bauer:967) in Bezugnahme auf den christlichen Gottesdienst nicht spiritualisierend zu verstehen (vgl. Bartsch:877). 

V.1 macht deutlich, dass die Grundlage des christlichen Gottesdienstes die Barmherzigkeit Gottes ist. Von der Barmherzigkeit Gottes her kommend, soll der Christ sein Leben (Leib) in dieser Welt Gott als Opfer hingeben. Dies allein entspricht der Barmherzigkeit Gottes und prägt somit das Gottesdienstverständnis des Christen.



[1]Das ον ist hierbei „nicht nur Übergangspartikel, sondern hat seine folgernde Bedeutung wie in 6,12 und 8,12“ (Wilckens:2).

[2]Wobei dies nicht bedeutet, dass nicht auch im lehrmäßigen Teil ethische Anwendungen vorhanden sind (vgl. 6,12-23), doch in 12,1-15,13 ist dies der bestimmende Schwerpunkt.

[3]„bei dringl. Bitten ... Röm 12,1“ (Bauer:361).

[4]Dies steht zwar im Plural, hat aber eine Singulare Bedeutung (vgl. Haubeck/Siebenthal:39).

[5]Am prägnantesten kommt dies in Röm 5,8 zum Ausdruck; vom nahen Kontext vgl. Röm 11,30-32.

[6]Zum punktuellen Aspekt des Aorist vgl. Hoffmann/Siebentahl:§194e-j, hier wohl ingressiv.

[7]Hier im übertragenen bildlichen Sinne (vgl. Bauer:745).

[8]Verwendung bei Paulus vgl. Gnilka (:43-49)

[9]Dieses durch den Geist aufgrund der „Wiedergeburt“ empfangene Leben vollzieht sich in der eschatologischen Spannung im Bewusstsein der Vollendung (Röm 8,22-23; Phil 3,20-21). 


Vers 2:

V.2 setzt die Ermahnung von V.1 mit zwei Imperativen fort. Der erste beginnt mit einem „καὶ“, welches V.2 klar mit V.1 verbindet. Paulus schreibt zunächst den Befehl: „und seid nicht gleichförmig dieser Welt“. Interessant ist, dass "seid nicht gleichförmig" (μὴ συσχηματίζεσθε vgl. Bauer:1586; Balz:752) ein Imperativ Präsens[1]Passiv ist (vgl. Haubeck/Siebenthal:39). Dies bedeutet offensichtlich, dass sich die Empfänger vom Wesen dieses Weltlaufs nicht prägen lassen sollen (Prägung geschieht passiv und dennoch lassen wir sie aktiv zu und somit ist der Imperativ nachvollziehbar). Mit "diesem Äon" (τῷ αἰῶνι τούτῳ) ist sicherlich die „los von Gott Bewegung“ gemeint, welche diesen ganzen Äon (vgl. Bauer:52-53) kennzeichnet und prägend auf den Menschen in seiner irdisch-leiblichen Existenz wirkt. Aus dieser Sündenverfallenheit der gesamten Menschheit (Röm 3,9f; Röm 5,12ff; 6,19ff) ist der Christ durch Christus zu neuer Existenz befreit worden (Röm 6,3ff; Röm 8,12ff). Dennoch besteht auch für den Christen die Gefahr, dass er in das Schema dieser Welt zurückfällt und sich in seinem Denken, Reden und Handeln diesem Weltlauf anpasst. Dies soll nicht geschehen, daher der erste Imperativ, sondern er soll sich verändern lassen (μεταμορφοῦσθε; vgl. Bauer:1036; Behm:766-767) durch die Erneuerung des Sinnes (ἀνακαινώσει[2]). Auch dies steht wieder in einem Imperativ Präsens Passiv. Der Christ ist durch Gottes Geist wiedergeboren und soll daher die Prägung des Geistes in seinem Leben zulassen, welche seinen Sinn erneuert (eben nicht wie Röm 1,28). Schlatter (:334) schreibt: „Da aber ihr Verhalten von dem abhängt, was sie als Erkenntnis und Überzeugung in sich tragen, geschieht ihre Umformung „durch die Erneuerung ihrer Vernunft““. Interessant ist, dass in V. 1 vom Leib, hier aber vom Sinn (νοῦς[3]) gesprochen wird. Der Zusammenhang ist einsichtig, denn der Leib ist das Medium der Hingabe, der Nous ist die prüfende Instanz, wodurch der Wille Gottes erkannt werden kann und somit die leibliche Hingabe ihre eigentliche Füllung bekommt. Die Erneuerung des Sinnes ermöglicht das Prüfen dessen (δοκιμάζειν[4]), was der Wille Gottes ist und somit auch das diesem Willen entsprechende Handeln. 

Der Wille Gottes ist gemäß Paulus: das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene (τὸ ἀγαθὸν (vgl. Bauer:4-6) καὶ εὐάρεστον (schon in V.1, weiter vgl. Bauer:645) καὶ τέλειον (vgl. Bauer:1613-1614)). Diese Beschreibung des Willens Gottes ist verblüffend allgemein gehalten (vgl. Michel:372). In der Frage nach dem Willen Gottes, ist der einzelne Christ in seiner konkreten Lebenssituation tatsächlich immer wieder neu herausgefordert. Das Leben lässt sich nicht durch einen Katalog von Normen regeln, mündiges Christsein erweist sich eben gerade darin, dass in der Entscheidungssituation der Einzelne für sich zur Erkenntnis des Willens Gottes kommen soll und sein Leben dementsprechend führt. Dies schließt die Gemeinschaft nicht aus, sondern sie ist dabei wesentlicher Teil in diesem Prozess der Entscheidungsfindung des mündigen Christen. So ist der Christ ja nicht alleine unterwegs, sondern immer auch als Glied am Leib (12,4). Viele Fragestellungen, die sich für den Einzelnen ergeben, sind Fragen, die sich ebenso die Gemeinschaft stellt, da sie sich miteinander im selben geschichtlichen, politischen und kulturellen Kontext bewegen. Dabei gilt es gemeinsam und individuell den Willen Gottes zu erkennen und zu tun. Die Schrift (vgl. 2.Tim 3,16-17) und die Unterweisung in der Schrift (vgl. Apg. 18,25-26) ist hier von fundamentaler Bedeutung. Denn erst wer die Schriften (Röm 1,2) kennt und im Weg des Herrn unterwiesen ist, wird fähig zu prüfen, was der Wille Gottes ist[5]. So kann hierbei also kein individualistisches, pneumatisch von der Schrift gelöstes Prüfen von Gottes Willen gemeint sein. Ebenfalls ist hierbei kein Dualismus denkbar, der zwischen leiblichen, geistigen und geistlichen Dimensionen scheidet, sondern dies stellt im Vollzug eine Einheit dar. 



[1]Präsens hat durative Bedeutung (vgl. Hoffmann/Siebentahl:§192) und somit ist hier auch eine konstante Gefahr für den Christen in seinem Lebensvollzug aufgezeigt (wohl iterativ, vgl. Hoffmann/Siebentahl:§194c) .

[2]vgl. Tit 3,5

[3]Der Begriff wird im NT 24 mal verwendet, davon 21 mal bei Paulus davon 6 mal im Römerbrief (1,28;7,23;7,25;11,34;12,2;14,5)! An unserer Stelle ist mit Sinn oder Gesinnung „als Inbegriff des ganzen geistigen und sittl. Zustandes“ (Bauer:1102) zu übersetzen (weiter vgl. auch Gnilka:49-58).

[4]Steht wiederum im Präsens (AcI) und verweist auf den durativen Aspekt dieses Prüfens. Bauer (:407) übersetzt: „als bewährt annehmen, was d. Wille Gottes ist“. Es kommen hierin verschiedene Aspekte zusammen, denn das Prüfen schenkt das Erkennen, was  das Annehmen ermöglicht und somit die Voraussetzung für das Tun ist. 

[5]Es ist ja interessant, wie Paulus auf ein Wissen der Römer in seiner Argumentation zurückgreifen kann (vgl. Röm 6,3; 7,1). 


Fazit Röm 12,1-2

Was ist christlicher Gottesdienst? Der Gottesdienst des Christen vollzieht sich gemäß Röm 12,1-2 durch die tägliche Lebenshingabe. Hierbei ist jegliche Unterscheidung zwischen profanem und sakralem Bereich aufgehoben. Der Christ steht mit seiner Existenz in dieser Welt, soll sich ihr aber nicht angleichen, sondern prüfend erkennen, was der Wille Gottes ist. Dies kann er, weil er durch Christus in einer neuen, durch den Heiligen Geist eröffneten, Lebensdimension steht. Gemäß dieser soll er daher auch sein Leben in dieser Welt führen. Hierin wird eine innere und sich gegenseitig bestimmende Dynamik zwischen Lebenshingabe und Erkenntnis sichtbar, welche durch die veränderte Existenz aufgrund der Erlösung in Christus gefordert und ermöglicht wird.

Folgende Skizze soll dies verdeutlichen:

 

Welches Verhältnis besteht zwischen sonntäglicher Versammlung und alltäglicher Nachfolge? Diese Frage wird durch Röm 12,1-2 nicht direkt beantwortet. Hierbei sollten wir uns aber folgendes vor Augen halten: 

a) Der Brief wurde an Hausgemeinden und nicht an Einzelpersonen geschrieben. Das Individuum ist hier also im Kollektiv der Gemeinde angesprochen. So wurde der Brief, meiner Meinung nach, in diesen Hausgemeinden vorgetragen und diskutiert. 

b) Der Aufbau des Briefes macht deutlich, dass die ethischen Unterweisungen auf die lehrmäßige Darlegung folgt und für das Verständnis von Röm 12,1-2 grundlegend ist. Somit kann festgehalten werden, dass ohne lehrmäßige Unterweisung gelebter Gottesdienst nicht möglich ist. Lehrmäßige Unterweisung aber vollzog sich im Kontext der christlichen Versammlungen in den Häusern. 

Diesen beiden Anmerkungen Rechnung tragend, ergibt sich für die Fragestellung nachstehende Skizze:

Bevor wir abschließend Thesen in Bezug auf unsere Fragestellung formulieren, widmen wir uns in einem nächsten Schritt dem theologischen Ansatz von Ernst Lange. Dies tun wir, um von der Exegese zur theologischen Reflexion zu kommen, welche dann in die praktische Anwendung mündet. 


Ernst Langes Ansatz:

Lange legt seinen theologischen Ansatz zum Gottesdienst der Christen in seinem Buch „Chancen des Alltags“ dar. Schon der Titel verweist auf Grundsätzliches. Der Gottesdienst wird hierbei nicht als Flucht vor dem Alltag verstanden, sondern die Chancen des Alltags werden durch den Gottesdienst eröffnet. Dadurch ist dem Verständnis, dass Kirche vor allem eine Zuflucht aus den alltäglichen Bedrängnissen (:13) darstellt, eine Absage erteilt. Das Leben Jesu und das Bekenntnis, dass er ins Fleisch kam, verdeutlicht, dass Gott selbst in die Wirklichkeit dieser Welt eingeht. Die Welt soll von dieser Dimension her gesehen werden und die christliche Kirche hat daher ihr Mandat von Christus her in dieser Welt! Somit wird auch jeglicher Dualismus, wie noch zu zeigen sein wird, der zwischen profaner und sakraler Wirklichkeit zu trennen sucht, abgelehnt. Es entsteht dadurch eine dynamische Spannung zwischen Alltag und sonntäglicher Versammlung. Lange schreibt (:25):

 

Grund, Inhalt und Verheißung des Gottesdienstes ist vielmehr, dass uns die Profanität um Jesu willen als voller Verheißung, voll der Gegenwart Gottes immer aufs neue eröffnet, offengehalten und aufgetragen wird. Und dies müsste sich dann freilich auf Raum, Zeit, Vollzug, Sprache und Stimmung der christlichen Gemeindeversammlung ganz erheblich auswirken.

 

Lange weist nach, dass sich die Kirche von heute in einer spannungsvollen Herausforderung befindet. Herrschte in früheren Jahrhunderten eine parochiale Symbiose zwischen Kirche und Staat, welche die Lebenswirklichkeit des Menschen mit der Kirche einte (vgl.:32-39), existiert dies für den heutigen Menschen nicht mehr. Die Kirche von heute befindet sich am Rande der Gesellschaft und beeinflusst die Lebensrealität selbst des Christen nur rudimentär (vgl.:39-50). Der Gläubige lebt dadurch in einer „frommen Schizophrenie“ (:48!), da er seinen Glauben nicht über die Kirchenmauern hinweg in den Alltag hinein zu bringen vermag. Lange verurteilt das sogenannte „Sonntagschristentum“. Dabei richtet sich seine Anklage nicht gegen den Sonntagschristen an sich, sondern gegen die Kirche als solche. Er schreibt (:49): „Aber man spielt dieses Spiel doch nur, weil die Kirche es in Verkündigung, Ordnung und Gestalt gleichsam ständig freigibt, wie sie auch die distanzierte Kirchlichkeit freigibt.“ Es geht Lange darum, mit dem Gottesdienstverständnis wieder in die Mitte der menschlichen Wirklichkeit zu kommen[1]. Die Kirche muss daher neu in die Gesellschaft einwandern (:51ff). Menschen sollen durch die gottesdienstliche Zusammenkunft freiwerden „für den Ernstfall des Glaubens, für den Alltag ihres Daseins, in dem Verheißung und Wirklichkeit zusammenklingen sollen im Medium ihres unvertretbaren Glaubensgehorsams“ (:53). Gemäß Lange´s Anliegen muss das Gottesdienstverständnis die Wirklichkeit des Menschen mit einbeziehen, damit der Glaube in die Wirklichkeit des Menschen einziehen kann und somit die „fromme Schizophrenie“ überwunden wird.

Nach diesen einführenden Gedanken zu Lange´s Anliegen, stelle ich im Folgenden sein Gottesdienstverständnis dar. Hierbei sind die zwei Begriffe: Ekklesia und Diaspora[2], wesentlich. Diese zwei Begriffe kennzeichnen das Spannungsverhältnis, in der Lange´s Gottesdienstverständnis zum Ausdruck kommt. Es ist die fruchtbare Spannung des christlichen Gottesdienstes, der sich zwischen der Versammlung der Gläubigen und der alltäglichen Lebensrealität des Gläubigen ereignet. Lange schreibt in Bezug auf den Gottesdienst der Kirche (:135):

 

Ihr Gottesdienst ist es, die Glaubenden in Kommunikation miteinander zu halten. Ihr Gottesdienst ist es, diese Kommunikation an der biblischen Überlieferung festzuhalten. Ihr Gottesdienst ist es, die Glaubenden in ihrem Gespräch hart an der Wirklichkeit zu halten und also Tradition und Situation zusammenzusprechen. Ihr Gottesdienst ist es, den Glaubenden bei seiner Mission zu halten: in Präsenz, in Verfügbarkeit und in Kommunikation mit seiner Umwelt. Und schließlich, um Gottes und des Glaubens und der Welt willen, ist es der Gottesdienst der Kirche, die Glaubenden in der Treue zu der Wirklichkeit zu ermutigen, die sie selbst mitverantworten, damit diese Wirklichkeit durch den Glauben im Wirkfeld der Verheißung bleibt, ohne die sie nicht funktionieren kann.

 

Dieser Gottesdienst der Kirche soll sich in der lokalen Ortsgemeinde verwirklichen, denn erst durch die lokale Versammlung bekommt die Kirche ihre Gestalt in der Welt (vgl.:138ff). Nur in dieser konkreten Gestalt kann der Gottesdienst, der sich in der Ekklesia und Diaspora verwirklicht, geschehen.


[1]Lange bringt hierbei zur Sprache, was in neuerer Literatur unter dem Begriff missional ausgesagt wird (vgl. Reimer), oder was Jim Belcher unter „Deep Church“ versteht. Es geht darum, als Gemeinde gesellschaftsrelevant zu sein. So schreibt z.B. Reimer(:63):„Die Gemeinde des dreieinigen Gottes kann ausschließlich gesellschaftsrelevant gebaut werden.“ Gesellschaftsrelevant bedeutet für Lange in Bezug auf den Gottesdienst, nicht am Rande der gesellschaftlichen Wirklichkeit, sondern in deren Mitte zu sein. 

[2]Lange verwendet nicht die Begriffe „Sammlung und Sendung“, da diese für ihn das Missverständnis nahe legen, dass das Zentrum der Christusherrschaft in der „kirchlichen Zone“ befindlich sei und diese Herrschaft nun in der Welt durch die Kirche aufgerichtet werden müsse (vgl.: 141). Er schreibt (:141): „In Wirklichkeit ist der Glaube immer „Glauben in Mission“.“ Es muss sowohl in der Versammlung, als auch in der Sendung zur Verwirklichung der Verheißung der Gegenwart Christi und seines Heils im und durch den Glauben kommen.


Folgende Skizze verdeutlicht nochmals, wie Lange den christlichen Gottesdienst definiert:

Hierbei wird nun deutlich, dass der Gottesdienst, von dem Lange spricht, weder im Raum der Ekklesia noch im Raum der Diaspora, sondern in der wechselseitigen Dynamik zwischen Ekklesia und Diaspora anzusiedeln ist. Somit durchdringen sich die Lebens-Räume durch den gelebten Glauben, der von der Wirklichkeit und der Verheißung Christi herkommt. 

In der Ekklesia geschieht die Kommunikation des Glaubens durch das Gespräch, die erfahrene Mitmenschlichkeit, das verkündigte Wort und das zeichenhafte Wort der Sakramente (vgl.:151). In der Diaspora ist der Gläubige auf sich selbst gestellt und als Zeuge Christi in Wort und Tat gefordert (vgl.:152ff). Daraus resultiert die Anfechtung des Glaubens, denn die Wirklichkeit wie sie ist, steht der Verheißung und Wirklichkeit der Herrschaft Christi entgegen. „Der Alltag ist der Ort, wo der Glaube Schiffbruch erleidet. Wo er seine Wirkungslosigkeit, seine Ohnmacht entdeckt, der Macht Gottes wirklich zu trauen. Darum ist der Alltag der Ernstfall.“ (:157). 

Die Gefahr dabei ist, dass der Gläubige vor der Wirklichkeit des Alltags zu flüchten sucht. Lange sieht gerade im Vollzug der Liturgie der versammelten Gemeinde die Bundeserneuerung, welche dem angefochtenen Glauben begegnet und ihn zu neuer Glaubenshingabe im Raum der Wirklichkeit des konkreten Lebens freisetzt. „Mit dem Stichwort „Bundeserneuerung“ versuchen wir das Wesen jenes Geschehens zu fassen, das traditionellerweise „Gottesdienst“ heißt.“ ( :161). Liturgie muss im Gesamten unter dem Aspekt der Bezeugung des Bundes gesehen werden. Dadurch soll der Gläubige in seiner konkreten Lebenswirklichkeit neu frei werden, um in Wort und Tat Zeuge Christi zu sein. Folgende Skizze soll dies noch graphisch verdeutlichen: 

Die Darstellung von Lange´s Gottesdienstverständnis ist konkret auf unsere Fragestellung hin behandelt worden. Hierbei ergeben sich für unsere Fragestellung folgende Schlussfolgerungen:

Was ist christlicher Gottesdienst?Nach Lange findet der christliche Gottesdienst im Alltag des Christen statt (Diaspora). Hier ist der Christ als Bürge des Glaubens gefordert und soll von der Christus Verheißung her sein Leben, seine Beziehungen und sein Umfeld gestalten. 

Welches Verhältnis besteht zwischen sonntäglicher Versammlung und alltäglicher Nachfolge?Gemäß Lange ist der christliche Gottesdienst ohne die Versammlung der Christen (Ekklesia) nicht lebbar. Denn der Christ ist, um im Alltag den Gottesdienst leben zu können auf die christliche Versammlung angewiesen. Hier wird er zum Bürge des Glaubens befähigt und erhält in der Anfechtung neu den Zuspruch der Verheißung Christi durch die Liturgie der Versammlung, die als Bundeserneuerung gedeutet wird. 


Fazit aus Punkt 2 und 3:

Wenn wir die Ergebnisse der Textbetrachtung Röm 12,1-2 und der theologischen Reflexion anhand von Lange´s Entwurf anschauen, so ist die gemeinsame Linie offensichtlich. In Bezug auf die Fragestellungen (1.1) wurde die Bedeutung der christlichen Versammlung für die alltägliche Nachfolge deutlich. Dabei muss die Versammlung den Alltag im Blick haben und den Christen zur Nachfolge freisetzen, zurüsten und begleiten. Aus der alltäglichen Nachfolge wiederum ergeben sich die Fragen, welche die Versammlung im Heute beschäftigen. Auf diese Lebensfragen muss die Versammlung in ihrem liturgischen[1]Ablauf eingehen und antworten. Somit wirkt die Lebenswirklichkeit in der sich die Christen befinden auf den Ablauf der christlichen Versammlung zurück und lässt gleichzeitig die gottesdienstliche Versammlung gesellschaftsrelevant werden. Der Begriff gottesdienstliche Versammlungist hier angebracht, weil, mit Lange gesprochen, Ekklesia und Diaspora in fruchtbarer Spannung zueinander stehen und den Christen für den Alltag, seine Fragen und Herausforderungen als Nachfolger Christi freisetzt. 

Die Spannung zwischen alltäglicher Nachfolge und christlicher Versammlung wird dann destruktiv, wenn es sich um zwei separate Räume der Lebenswirklichkeit des einzelnen Christen handelt. Dann nämlich ist die Gefahr gegeben, dass der Christ sich in zwei nicht zu vereinenden Welten befindet und somit die Versammlung zum  Fluchtort vor der Wirklichkeit des Lebens wird. Dies führt dazu, dass der Gläubige unfähig wird, entsprechend seines Glaubens der Wirklichkeit zu begegnen und sie Christus gemäß zu gestalten. Somit ist aber auch der christliche Gottesdienst, der in der alltäglichen Lebenshingabe besteht, gefährdet. Der christliche Gottesdienst verwirklicht sich also durch die gottesdienstliche Versammlung in der alltäglichen Nachfolge, welche wiederum fruchtbar auf die gottesdienstliche Versammlung zurückstrahlt. Diese Dynamik des christlichen Gottesdienstes lässt die Gemeinde gesellschaftsrelevant sein, ohne dabei ihr Profil als Salz und Licht dieser Welt (Mt 5,13f.) zu verlieren. 

Thesen zur Praxis des christlichen Gottesdienstes

Entsprechend dem bis jetzt Dargelegten sollen nun zwei Thesen formuliert werden, die Orientierungslinie für die praktische Reflexion der gottesdienstlichen Versammlung in Bezug auf die Fragestellung bieten sollen. Die leitende Frage lautet: wie kann die gottesdienstliche Versammlung so gestaltet werden, dass alltägliche Nachfolge gelebt werden kann?

 

These 1Die gottesdienstliche Versammlung muss in Bezug zur Lebenswirklichkeit der Menschen stehen.

  •  Dies geschieht, indem ein Bezug zu den Fragen, Nöten, Versagen, Herausforderungen ... der Gläubigen und der Menschen im Umfeld der Gemeinde (so wie der Welt an sich) hergestellt wird. 

These 2Die gottesdienstliche Versammlung muss die Menschen zur alltäglichen Nachfolge freisetzen. 

  • Dies geschieht, indem der Christ dem dreieinigen Gott begegnet (durch Gebet, Wirken und Gaben des Hl. Geistes, Verkündigung des Wortes in Predigt, Abendmahl und Taufe ... Räume der Gottesbegegnung schaffen ...)
  • Dies geschieht, indem der Christ dem Mitchristen begegnet (Räume der zwischenmenschlichen Begegnung des Gesprächs, der Fürbitte, der Anteilnahme und Anteilgabe, des gegenseitigen Dienstes schaffen ...)
  • Dies geschieht, indem der Christ den Auftrag vernimmt und annimmt (durch Predigt, Zeugnis, Geistesgaben ... und Räume der Antwort durch Gebet und Segnung ...) 

[1]Hier wird der Begriff Liturgie in einer allgemeinen Bedeutung in Bezug auf den Gottesdienstablauf der Versammlung mit seinen Elementen verstanden. 


Praktische Konsequenzen:

In den folgenden Ausführungen wird die grundlegende Erarbeitung der vorangegangen Punkte auf die Praktische Umsetzung hin reflektiert. Die Reflexion wird in Blickrichtung auf die Gottesdienstelemente eines Pfingstgottesdienstes[1], wie ich ihn bislang erlebt habe, angewendet. Hierbei werde ich Abendmahls-, sowie Taufgottesdienste nicht speziell berücksichtigen, da dies vom Umfang dieser Arbeit her nicht möglich ist. Jedoch sei hier dazu erwähnt, dass all die Überlegungen im Vorfeld auch auf diese Gottesdienste zu reflektieren sind und dieselbe Grundintention (vgl. 4.1) beinhalten sollten. Die Grundelemente des „gängigen“ Pfingstgottesdienstes sind: Begrüßung, Lobpreiszeit, Gebetszeit, Wortverkündigung, Schlußsegen.



[1]Wobei sich dieser vom Ablauf her wohl kaum wesentlich von sonstigen Freikirchlichen Gottesdiensten unterscheiden wird. 


Gedanken im Vorfeld

Die gottesdienstliche Versammlung soll für die alltägliche Nachfolge Hilfestellung leisten. Ein wichtiger Aspekt dabei ist, dass Räume der Begegnung geschaffen werden. So sollte es zur Begegnung mit Gott, dem Mitchristen, sowie dem Besucher, der noch nicht als Christ[1]zu bezeichnen wäre, kommen. Diese „Räume der Begegnung“ erscheinen mir in der Auseinandersetzung mit der Fragestellung wichtig. Die gesamte „Liturgie“ der gottesdienstlichen Versammlung sollte solche Räume der Begegnungschaffen. 

Die gottesdienstliche Versammlung beginnt vor jeglicher offiziellen Eröffnung, sie beginnt schon mit dem Zusammenkommen der Menschen am Ort der Versammlung. Dieser Ort ist Teil der Begegnung da er die „Rahmenbedingungen“ für die Versammlung bildet. So müssen wir uns in Bezug auf die formulierten Thesen (4.1) auch über den Versammlungsraum Gedanken machen. Dieser Raum sollte so gestaltet sein, dass der Mensch (der Christ, als auch der Besucher) zum Dialog eingeladen wird. Dieser Dialog findet schon im Eintreffen am Ort der Versammlung statt[2]. Gemäß unserer Thesen sollte dieser Ort so gestaltet sein, dass er einen Bezug zur Lebensrealität des Menschen darstellt. Der Mensch sollte sich, schlicht ausgedrückt, wohl fühlen, wenn er den Versammlungsraum betritt. Dies betrifft die Einrichtung, die Bilder an den Wänden, die Farben, die Gerüche, die Geräusche ..., sowie auch die erste Begegnung mit den bereits Anwesenden[3]. Es geht hierbei um die Frage, ob der Raum an sich auf die Wahrnehmung des Menschen einladend wirkt oder nicht. Der Raum sollte nicht so sakral gestaltet sein, dass der Mensch sich nicht mehr zu rühren wagt. Auf der andern Seite muss der Bezug zum christlichen Glauben nicht eliminiert werden, sondern darf sichtbar sein. 



[1]Als Christ wird hier derjenige bezeichnet, der in einer lebendigen Beziehung mit Christus steht und ihn als seinen persönlichen Erlöser und Herrn erfahren hat. Es sind also diejenigen Menschen, die von „oben geboren“ sind, dadurch am Reich Gottes Anteil bekommen haben und in der Nachfolge Christi stehen (vgl. Joh 3,3; Lk 6,46ff.).

[2]Dies findet bewusst oder unbewusst bei jedem statt, wird aber am intensivsten von neuen Besucher erlebt werden, da diese die Atmosphäre des Raumes am bewusstesten wahrnehmen werden. 

[3]Hier ist es sicherlich sinnvoll, dass Menschen für den „Begrüßungsdienst“ bereitstehen und dazu geschult sind, auf Menschen zuzugehen (hier vor allem auf Fremde). Dies muss nicht unbedingt durch „Händeschütteln“ am Eingang, es kann auch durch aktives auf Menschen zugehen und sie in einer offenen freundlichen Art willkommen heißen, geschehen. Manche Gottesdiensträume strahlen eine kühle Atmosphäre nicht allein wegen der Gestaltung, sondern gerade auch wegen der Menschen, welche man dort antrifft, aus. 


Begründung:

Die Begrüßung eröffnet den offiziellen Beginn der gottesdienstlichen Versammlung. Derjenige, welcher den Gottesdienst leitet, ist mehr als „nur“ ein Moderator. Da er die Menschen durch die Versammlung führt[1], muss er offen für Gott und die Menschen sein. Er sollte dabei das Ziel der gottesdienstlichen Versammlung, nämlich die Begegnung der Menschen mit Gott und zueinander vor Augen haben. In der Begrüßung nun holt er die Anwesenden ab. Hierbei geht es nicht darum, dass die Menschen, die ja aus dem Alltag herauskommen, diesen jetzt ablegen sollen. Somit sind Begrüßungsfloskeln wie: „Ich heiße euch alle ganz herzlich zu unserem Gottesdienst willkommen ... wir wollen jetzt alles ablegen, was uns vom Alltag beschäftigt...“, nicht das was der Grundintention der gottesdienstlichen Versammlung entspricht. Die Menschen sollen nicht den Alltag ablegen, sondern ihn vor Gott bringen. Hier könnte man z.B. darauf hinweisen, dass wir mit all dem was uns bewegt, bewusst in die Gemeinschaft Gottes kommen dürfen. 

Nach der Begrüßung und den Ankündigungen folgt die Überleitung zum Lobpreis und der Anbetung Gottes. Auch hier gilt es den Menschen abzuholen und zu Gott hin zu leiten[2], z.B. durch ein entsprechendes Bibelwort. Hier darf der Blick aus der eigenen Situation hin auf die Beziehung mit Gott gelenkt werden. In der „Begrüßungsphase“ wird der Raum zur Gottesbegegnung geöffnet, indem der Mensch abgeholt und eingeladen wird, sich bewusst auf Gott ein zu lassen.


[1]Dies ist eine zutiefst pneumatische Funktion (vgl. Joh 16,13) und daher ist das griechische Wort ὁδηγέω (Bauer:1122) leiten, führen, einführen treffend. Der die gottesdienstliche Versammlung Leitende muss daher modern gesprochen „online“ sein.

[2]Mit kurzen erläuternden und bewusstmachenden Worten zur Bedeutung dessen, was jetzt geschieht (in Bezug auf Gäste, aber auch für die Gemeinde). 


Lobpreis-, Anbetungs- und Gebetszeit:

In dieser Zeit wird bewusst der Raum der Gottesbegegnung betreten[1]. Im Lobpreis, der Anbetung[2]und des Gebets kommt es zur Interaktion zwischen Gott und den Menschen. Hierbei ist dem Wirken des Geistes bewusst Raum zu geben. Das Praktizieren der Geistesgaben (vgl. 1.Kor 12) hat Auswirkung auf die Versammlung, da jeder von Gott zu diesem Dienst an der Versammlung beschenkt werden kann. Ebenfalls wird dadurch (vor allem durch die Gabe der prophetischen Rede) der Alltag des Menschen mit in den Fokus der Gottesbegegnung gerückt[3]. Gott spricht durch seinen Geist inmitten der versammelten Gemeinde und gebraucht die einzelnen Glieder dazu. Ebenso ist das emotionale Element, welches in dieser Zeit zum Ausdruck kommt, wesentlich für die Verbindung von Alltag und gottesdienstlicher Versammlung. Denn Gott begegnet dem Menschen ganzheitlich, dies darf der Menschen in der Zeit des Lobpreises und der Anbetung auch emotional erfahren. Hier sollte auch auf die Gaben des Geistes reagiert werden, indem man Raum zur Reaktion auf die Gaben schafft[4]. Diese Zeit der Begegnung mit Gott ist eine wesentliche Grundlage für das verkündigte Wort. Denn durch die Gaben des Geistes werden oft Impulse der Verkündigung schon vorweggenommen. Der Leiter des Gottesdienstes muss hinhören können, was als geistliche Linie von Gott her für die Versammlung gelegt wird. 


[1]Dabei sei hier natürlich darauf verwiesen, dass wir die Gottesbegegnung nicht „machen“ können, also jeglicher Form der Manipulation muss hier gewehrt werden. Es soll lediglich der Raum für den Glauben und im Glauben geschaffen werden, um Gott zu begegnen.

[2]Wobei dies in gesungenen Liedern und freien Gebeten stattfindet (bis hin zum Singen in neuen Sprachen). In Bezug auf das Liedgut wäre hier wiederum ein Augenmerk darauf zu richten, in wieweit sie dem Ziel gottesdienstlicher Versammlung entsprechen (in Text und Musik). 

[3]Aber natürlich auch durch andere Gaben, denn wenn ein kranker Mensch durch die Gabe der Heilungen von seinem physischen oder seelischen Leiden geheilt wird, berührt dies natürlich sein alltägliches Leben und hat direkt mit diesem zu tun.

[4]Dies kann in Form der Fürbitte sein, der persönlichen Reaktion im Gebet durch Danksagung, Bekenntnis usw. Wobei hier auch das Prüfen der Gaben seinen Platz hat.


Wortverkündigung:

Die Wortverkündigung ist ein zentraler Aspekt des pfingstlichen Gottesdienstes. Der Verkündiger muss hierbei ebenfalls ganz bei Gott (seinem Wort in Zuspruch und Anspruch) und ganz bei den Menschen (in ihrer Situation) sein. Hierzu bedarf es die Situation, die Fragen und Nöte der Menschen zu kennen, aber gleichzeitig auch das Wort für die Gemeinde von Gott her zu empfangen. Durch die Verkündigung soll das Wort der Schrift als Richtschnur Orientierung für die Fragen der Gegenwart schenken. Dabei wird der Verkündiger ebenfalls schon in der Zeit vor der Wortverkündigung offen für die Impulse des Hl. Geistes sein, um gegebenenfalls Aspekte der Gabendienste in der Verkündigung vertiefend auf zu greifen. Das Verkündigungsgeschehen hat eine pneumatische Dimension, mit welcher der Verkündiger auch während der Wortverkündigung rechnen sollte. Das Wort der Schrift will in der Situation der Menschen Wirklichkeit werden. Daher ist es auch wichtig, dass nach der Wortverkündigung Raum zur Reaktion auf die Botschaft gegeben wird (z.B. durch Kanzelgebet, offenes Gebet usw.). Nach dieser Zeit des Gebets, welches mit Lobpreis begleitet sein kann, wird die Versammlung offiziell beendet. 


Schlußsegen:

Der „abschießende“ Segen durch den Gottesdienstleiter sollte nicht den Gottesdienst beenden, sondern die Menschen zu ihrem Gottesdienst begleiten. Denn nun gilt es, dass gehörte in den Alltag mit zu nehmen. In dieser Hinsicht sollte der „Schlußsegen“ für die Gemeinde dieses Signal beinhalten und wenn möglich auch in Bezug zur Thematik des Inhalts der gottesdienstlichen Versammlung stehen. 


Gemeinschaft nach dem Gottesdienst:

Auch die Möglichkeit der Gemeinschaft nach der „offiziellen“ Beendigung der gottesdienstlichen Versammlung, ist immer noch Teil der Versammlung selbst. Denn hier geschieht Gemeinschaft der Glieder im „natürlichen“ Zusammensein. Dieses ist nicht weniger geistlich als der „offizielle“ Teil selbst. Die Frage dabei ist nur, auf welcher Ebene wir Gemeinschaft miteinander in diesem Bereich haben. Auch hier sollte es zu wirklicher Anteilnahme und Anteilgabe aneinander kommen. Auch sollte die Möglichkeit bestehen, seelsorgerliche Anliegen zu besprechen. Dazu könnte man ganz bewusst Räume der Nachbesprechung öffnen, um denjenigen die Möglichkeit zum seelsorgerlichen Gespräch zu geben, die danach verlangen. Ebenfalls sollte in dieser Zeit auf Gäste zugegangen und eingegangen werden. Gäste sollten die Möglichkeit haben ihre Fragen zu stellen und Antworten auch in Bezug auf das in der Versammlung Erfahrene zu erhalten.


Schlussgedanken:

Abschließend ist festzuhalten, dass aufgrund der Kürze dieser Arbeit die praktisch-theologische Reflexion nur ein Kratzen an der Oberfläche darstellt. Es ist mir bewusst, dass dies noch viel breiter und detaillierter ausformuliert werden könnte. Dennoch sollte die Linie für den praktischen Vollzug sichtbar sein. So ist das weitere Nachdenken über die praktischen Konsequenzen für die gottesdienstliche Versammlung mit dieser Arbeit nicht beendet. Dieses Nachdenken sollte sich im Kontext der lokalen Gemeinde mit den Personen, die in der Gottesdienstgestaltung involviert sind, vollziehen. Dabei würde ich grundsätzlich, so wie in dieser Arbeit dargelegt, vorgehen: von der exegetisch-theologischen Grundlegungen hin zur Reflexion der praktischen Konsequenzen und dies im Dialog kreativer Offenheit.


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© Marcel Locher (Feedback aller Art kann über: Kontakt zugesandt werden)


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