Gibt es einen Unterschied zwischen natürlichen Gaben und den Gaben des Heiligen Geistes?


Versuch einer Verhältnisbestimmung:

Welches Verhältnis besteht zwischen „natürlichen Gaben“ und den „Gaben des Heiligen Geistes“? Die Frage ist, ob es überhaupt einen Unterschied zwischen „natürlichen Gaben“ und „Gaben des Heiligen Geistes“ gibt? Ebenso besteht die Frage, ob die Liste der in 1.Kor 12 aufgeführten Gaben des Heiligen Geistes eine vollständige Liste ist (9 Geistesgaben), oder nur exemplarisch einen Teil der Geistesgaben aufzählt.

Duffield/Cleave schreiben (:406):

 

Nach Ansicht zahlreicher Fachleute werden in 1.Korinther 12 neuen Geistesgaben aufgezählt. doch in Vers 28 desselben Kapitels fügt Paulus, nachdem er noch einmal Wunderkräfte, Heilungen und Zungenrede genannt hat, die Gaben der Hilfeleistungen und Leitungen hinzu, ohne diese in eine andere Kategorie einzureihen. Der Apostel unterscheidet auch nicht zwingend zwischen den Ämtern Apostel, Prophet und Lehrer und den Gaben Wunderkräfte, Heilungen und Zungenreden. Sobald Gott eine Person für ein Amt aussonderte, gab er ihr offenbar eine geistliche Ausstattung und Befähigung mit, die diesem Amt oder Dienst entsprach. ... Paulus erwähnt in 1.Korinther 12 – 14 jene Gaben, die den Korinthern wohlbekannt waren; im Römerbrief führt er andere Gaben an, um seine Argumentation zu untermauern.

 

Damit wird deutlich, dass Duffield/Cleave die Gaben des Heilgen Geistes nicht auf die Liste der in 1.Kor 12,8-11 beschränkt sieht. Sie argumentieren, dass Paulus hier nur die Gaben aufzählt, welche den Korinthern bekannt waren. Sie gehen offensichtlich davon aus, dass auch andere Gaben, zu den genannten Geistesgaben hinzugehören. Dabei verweist er auf 1.Kor 12,28, wo Hilfeleistungen und Leitungen als Gaben aufgezählt werden. Weiter verweisen sie auf den Römerbrief, wo Paulus ebenfalls zusätzliche Gaben aufzählt. Damit ist sicherlich Röm 12,6-8 (hier wird im Kontext auch der Leib-Christi Gedanken angeführt vgl. Röm 12,4). Wir lesen in Röm 12,6-8 folgendes:

 

 6Da wir aber verschiedene Gnadengaben haben nach der uns gegebenen Gnade<, so laßt sie uns gebrauchen>: es sei Weissagung, in der Entsprechung zum Glauben;  7es sei Dienst, im Dienen; es sei, der lehrt, in der Lehre;  8es sei, der ermahnt, in der Ermahnungder mitteilt, in Einfalt; der vorsteht, mit Fleiß; der Barmherzigkeit übt, mit Freudigkeit.

 

Ergänzend dazu lesen wir auch noch 1.Petr 4,10-11:

 10Wie jeder eine Gnadengabe empfangen hat, so dient damit einander als gute Verwalter der verschiedenartigen Gnade Gottes!  11Wenn jemand redet, <so rede er es> als Aussprüche Gottes; wenn jemand dient, <so sei es> als aus der Kraft, die Gott darreicht, damit in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus, dem die Herrlichkeit ist und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

 

Dazu jetzt auch noch 1.Kor 12,1-11

1Was aber die geistlichen<Gaben> betrifft, Brüder, so will ich nicht, daß ihr ohne Kenntnis seid.  2Ihr wißt, daß ihr, als ihr zu den Heiden gehörtet,zu den stummen Götzenbildern hingezogen, ja, fortgerissen wurdet.  3Deshalb tue ich euch kund, daß niemand, der im Geist Gottes redet, sagt: Fluch über Jesus! und niemand sagen kann: Herr Jesus! außer im Heiligen Geist.

 4Es gibt aber Verschiedenheiten von Gnadengaben, aber <es ist> derselbe Geist ;  5und es gibt Verschiedenheiten von Diensten, und <es ist> derselbe Herr;  6und es gibt Verschiedenheiten von Wirkungen, aber <es ist> derselbe Gott, der alles in allen wirkt. 

7Jedem aber wird die Offenbarung des Geisteszum Nutzen gegeben.  8Denn dem einen wird durch den Geist das Wort der Weisheit gegeben, einem anderen aber das Wort der Erkenntnis nach demselben Geist;  9einem anderen aber Glauben in demselben Geist , einem anderen aber Gnadengaben der Heilungen in dem einen Geist, 10einem anderen aber Wunderwirkungen, einem anderen aber Weissagungeinem anderen aber Unterscheidungen der Geister; einem anderen <verschiedene> Arten von Sprachen, einem anderen aber Auslegung der Sprachen. 11Dies alles aber wirkt ein und derselbe Geist und teilt jedem besonders aus, wie er will.

 

Gemäß Duffield/Cleave sind also alle in diesen Texten erwähnten Gnadengaben als Gaben des Heiligen Geistes zu bezeichnen. Dagegen schreibt Reinhold Ulonska (:157):

In letzter Zeit wurden viele Gotteskinder ziemlich verwirrt durch die Behauptung: Alle Charismen seien Naturtalente, die einfach in den Dienst Gottes gestellt werden. Darum ist ihnen auch die Pfingstbewegung in ihrer Betonung von neun übernatürlichen Geistesgaben (nach 1.Korinther 12) verengt. Es gäbe viel mehr Geistesgaben. Ja, es könne sogar in unserer Zeit  Geistesgaben geben, von denen noch nichts in der Bibel steht. Bei diesen Aussagen werden die Fehler gemacht, alle Gnadengaben des Geistes und alle mit Naturtalenten gleichzusetzen

 

Ulonska verweist darauf, dass in 1.Kor 12,4-11 von Gnadengaben des Geistes gesprochen wird (:157) und nicht allein von Gnadengaben an sich (Röm 12 => Gnadengaben entsprechend der Gnade, die uns gegeben ist). Ulonska hält fest, dass man beim Begriff Charisma (χάρισμα) auf den Kontext achten müsse, in dem er verwendet wird. Dabei wird deutlich, so in seinen weiteren Ausführungen, dass der Charismabegriff unterschiedliche Bedeutungen erlangt. So wird der Charismabegriff z.B. verwendet für (vgl.: 158-162):

  •  das eigene natürliche Charisma von Gott: Fähigkeit zur Ehe oder Ehelosigkeit  1.Kor 7,7.
  • das Charisma Gottes: ewiges Leben: Röm 6,23.
  •  das Charisma Christi:  Vergebung der Sünden/Übertretungen: Röm 5,15-16.[1]
  •  die Charismen des Geistes: aufgeführt in 1.Kor 12,4-11 / Röm 1,11.

Worauf Ulonska sicherlich zu recht hinweist, ist, dass wir bei den verwendeten Begrifflichkeiten immer auch den Kontext mitbeachten müssen, in denen sie stehen. Dies wird uns bei unserer eigenen theologischen Positionierung die nötige Tiefenschärfe geben. 

Grundsätzlich können wir sicherlich festhalten, dass durch die Erlösung in Christus alle Gläubigen das ewige Leben und die Vergebung der Sünden empfangen haben (Röm 6,23Röm 5,15f.). Dies ist die soteriologische Dimension der Gnade Gottes in Christus Jesus. Wie verhält es sich jetzt aber mit dem Charisma der Ehe bzw. Ehelosigkeit (1.Kor 7,7), der Hilfeleistungen (ἀντιλήμψεις), Leitungen (κυβερνήσεις) (1. Kor 12,28), des Dienstes (διακονία), Lehre (διδασκαλία), Barmherzigkeit (παράκλησις)  (Röm 12,6-8)? Sind dies alles Gnadengaben des Heiligen Geistes, wie die aus 1.Kor 12,4? Muss man zwischen den Gnadengaben des Geistes (1.Kor 12,4) und den Offenbarungen des Geistes (1.Kor 12,7) unterscheiden?


[1]  15 Mit der Übertretung ist es aber nicht so wie mit der Gnadengabe. Denn wenn durch des einen Übertretung die vielen gestorben sind, so ist viel mehr die Gnade Gottes und die Gabe in der Gnade des einen Menschen Jesus Christus gegen die vielen überreich geworden.  16 Und mit der Gabe ist es nicht so, wie <es> durch den einen <kam>, der sündigte. Denn das Urteil <führte> von einem zur Verdammnis, die Gnadengabe aber von vielen Übertretungen zur Gerechtigkeit.


Versuch einer Stellungnahme:

Wahrscheinlich ist es hier sicherlich ratsam hier nicht zu stark systematisieren zu wollen. Es geht nicht darum, dass wir das Wirken des Heiligen Geistes in unterschiedliche Schubladen einsortieren, um so eine möglichst aufgeräumte Pneumatologie zu erhalten. Dennoch glaube ich, dass wir folgende Grundstruktur legen können.

A) Es gibt schöpfungsbedingte Begabung und Befähigung, die wir sozusagen in die Wiege gelegt bekommen haben. Jeder Mensch hat ein Gabenprofil von Gott bekommen. Ob der Mensch jetzt an Gott glaubt oder nicht spielt hierbei keine Rolle. Wenn wir von Schrift her bekennen, dass Gott der Schöpfer ist, dann gilt dies für alle Menschen. Die schöpfungsbedingten Fähigkeiten, welche ein Mensch erhält sind ihm geschenkt. Er kann sie ausbauen, er kann sie fördern und mit eigenem Fleiß an seinen Fähigkeiten arbeiten. Ich würde dies als „natürliche“ Begabung des Menschen bezeichnen. Mit natürlich ist hierbei aber nicht gemeint, von Gott losgelöst, da wir den Menschen immer von Gott her sehen müssen. Somit sind alle natürliche Begabung letztendlich auch Gottes Gaben. Dies kommt schon in unserem normalen Sprachgebrauch zum Ausdruck: „Sie ist eine begnadete Sängerin!“ „Er ist ein begnadeter Künstler“ „Sie ist eine geniale Mathematikerin“ „Er ist ein hervorragender Lehrer“... Diese Aussagen machen wir auch im natürlichen und unterscheiden damit außergewöhnliches vom normalen Durchschnitt! Woran liegt es, dass Menschen sich vom Durchschnitt hervorheben ja bis dahin, dass wir Menschen als Jahrhundert Genies bezeichnen (z.B. Michelangelo Buonarotti; Leonardo da Vinci). Dies liegt nicht nur an ihrem Fleiß, sondern vor allem an ihrer Begabung, die sie schöpfungsbedingt in die Wiege gelegt bekommen haben. Solche außergewöhnliche Begabung wurde schon im AT als von Gott geschenkt betrachet und von Gott in den Dienst genommen (Ex 31,1-6):

1Und der HERR redete zu Mose und sprach:  2Siehe, ich habe mit Namen berufen Bezalel, den Sohn des Uri, des Sohnes Hurs, vom Stamm Juda,  3und habe ihn mit dem Geist Gottes erfüllt, mit Weisheit, Verstand und Können und für jedes Kunsthandwerk,  4Pläne zu entwerfen, um in Gold, Silber und Bronze zu arbeiten.  5Auch mit <der Fertigkeit zum> Schneiden von Steinen zum Einsetzen und mit der Holzschnitzerei <habe ich ihn begabt>, damit er in jedem <Hand>werk arbeiten kann.  6Und ich, siehe, ich habe ihm Oholiab, den Sohn des Ahisamach, vom Stamm Dan, <als Mitarbeiter> gegeben. Dazu habe ich jedem, der ein weises Herz hat, Weisheit ins Herz gelegt, damit sie alles machen, was ich dir geboten habe...“. 

Es ist nicht an zu nehmen, dass Bezalel erst bei der Berufung diese Fähigkeiten erhalten hat. Sondern er hatte sie schon vorher und dies wurde nun für Gott zum Bau des Heiligtums eingesetzt und in Bezug zum Heiligen Geist. So gibt es auch unter den Gläubigen viele begabte Menschen, die schöpfungsbedingt mannigfaltige Begabungen Gottes mit in die Wiege gelegt bekommen haben, die sie mit Fleiß und Leidenschaft entwickelt haben und nun auch für den Bau von Gottes ntl. Tempel unter dem Wirken des Heiligen Geistes zum Segen für die Menschen einsetzen dürfen.

 

B) Es gibt Begabungen Gottes, die sich zu den Dienstfunktionen Gottes im Leib Christi entwickeln. Hier können natürliche Begabungen, wie unter Punkt A) beschrieben mit „übernatürlichen“ Begabungen wie sie in Punkt C) zu beschreiben sind verbinden. Dass bedeutet, wenn wir z.B. die Dienstgaben aus Eph 4,11 oder den Ältesten- oder Diakonendienst aus 1.Tim 3 / Tit 1 nehmen, dass die Leitungsgabe (Leitungen κυβερνήσεις 1.Kor 12,28), die Lehrbegabung (Lehre διδασκαλία), der Diakonie/Diakon-, Seelsorgegabe(Dienstes διακονία - Barmherzigkeit παράκλησις  Röm 12,6-8), dass dies sowohl eine natürliche Grunddisposition, aber darüber hinaus eine durch den Hl. Geist entwickelte Dienstgabe beinhaltet. Daraus folgt, dass wir nicht allein von einer „natürlichen“ Begabung, welche wir im Leben eines Menschen erkennen, auf seine geistliche Setzung im Leib Christi schließen dürfen. So z.B. wenn jemand in der Wirtschaft in Leitungsposition ist, hat er sicherlich eine natürliche Leitungsgabe, die er in seiner beruflichen Karriere entwickelt hat, heisst dies noch lange nicht, dass er auch in der Gemeinde in Gemeindeleitungsfunktion dienen soll. Dies kann sein, muss es aber nicht. Hierbei ist die Entwicklung im Dienst sehr wichtig zu sehen (Charisma und Charakter entwickeln sich im Kontext der Glaubensgemeinschaft und führen zu einem in Verantwortung ausgeübten Leitungsdienst).

 

C) Weiter gibt es aber jetzt Gaben, die ich als „übernatürliche“ Offenbarungsgaben des Heiligen Geistes bezeichnen möchte. Hierbei ist jetzt aber wichtig zu betonen, dass ich unter „übernatürlich“ und „natürlich“ nicht eine Unterscheidung zwischen „göttlich“ und „menschlich“; „himmlisch“ und „irdisch“ verstanden haben möchte. Sowohl „natürliche“ wie auch „übernatürliche“ Gaben Gottes sind Gaben Gottes! Der Unterschied besteht meiner Meinung nach darin, dass die „natürlichen“ Gaben (Charismen) dem Menschen zur permanenten, konstanten Anwendung zur Verfügung stehen. Wer die Gabe des Lehrens hat, obwohl sich diese auch im Kontext der Glaubensgemeinschaft entwickelt hat, kann jederzeit in der Lehre dienen. Ebenso, wer die Gabe der Hilfeleistungen, der Ermahnung, des Dienens usw. hat. Denn diese Gaben sind mit unserer geschöpflichen Existenz sehr eng verwoben. Natürlich muss auch hier im Bewusstsein bleiben, dass wir auch in der Auswirkung dieser „natürlichen“ Gaben auf das Wirken des Hl. Geistes im Dienst angewiesen bleiben. Wenn wir aber den Dienst des Propheten anschauen, dann ist hiermit ein Leitungsdienst in der Verkündigung gemeint, der sehr stark auch mit der Gabe des Prophetie verbunden ist. Hierbei ist die Gabe des prophetisch Redens dem Propheten nicht im gleichem Masse mitgegeben, wie dem Lehrer die Gabe des Lehrens. Wobei der Prophet sich gerade dadurch kennzeichnet, dass er in außergewöhnlichem Maße von Gott durch prophetisches Reden gebraucht wird. Jedoch kann der Prophet nicht einfach jederzeit über jedem Menschen prophetisch reden, es muss ihm in der Situation von Gott her gegeben sein. Dennoch ist ferstzuhalten, dass gerade auch die Dienstgaben oft mit „übernatürlichen“ Gaben des Heiligen Geistes begleitet sind (vgl. apostolischer Dienst, evangelistischer Dienst, Ältesten Dienst Jak 5: Heilungen, Zeichen und Wunder, Machttaten usw.). Weiter ist aber auch festzuhalten, dass diese „übernatürlichen“ Gaben nicht allein im Dienst von Leitungsämtern auftreten, sondern dass jedes Gemeindeglied von Gott in solchen Gaben gebraucht werden kann. Diese Unterscheidung zwischen „natürlichen“ und „übernatürlichen“ Charismen, von „verfügbaren“ und „unverfügbaren“ Charismen scheint mir sinnvoll (auch schon in Bezug auf den Hinweis 1.Kor 12,4 „verschiedene Dienste derselbe Herr“ und Eph 4,7.11 „Jedem Einzelnen von uns aber ist die Gnade nach dem Maß der Gabe Christi gegeben....Und er hat die einen gegeben...“ => Dienstgabe wird in Bezug zu Christus gesetzt / wobei in 1.Kor 12,4 die „Verschiedenheiten der Gnadengaben“ dem einen Heiligen Geist zugewiesen sind. Dabei ist es selbstverständlich, dass hier eine untrennbare trinitarische Vorstellung zugrunde liegt!). Ebenfalls leitet mich die Beschreibung des Paulus in 1.Kor 12,7 zu solch einer Unterscheidung. Dort schreibt Paulus (1.Kor 12,7):

 

7Jedem aber wird die Offenbarung des Geisteszum Nutzen gegeben. (7ἑκάστῳ δὲ δίδοται[1]ἡ φανέρωσις[2]τοῦ πνεύματος πρὸς τὸ συμφέρον.)

 

Bei den in 1.Kor 12,8-10 aufgeführten Gaben handelt es sich um Offenbarungsgaben des Heiligen Geistes. Die Gaben (Charisma) sind daher konkreter definiert, es handelt sich um Offenbarungsgaben des Heiligen Geistes, durch die Gott in der Gemeinschaft der Gläubigen wirkt[3]. Somit sind sie aber nicht per se dem Gläubigen verfügbar, sondern werden immer wieder durch den Geist der Gemeinschaft gegeben.

Dass es sich hierbei um Gaben handelt, die der Heilige Geist jeweils austeilt und nicht in der Verfügbarkeit des Menschen steht, wird deutlich durch 1.Kor 12,11 zum Ausdruck gebracht:

 

11Dies alles aber wirkt ein und derselbe Geist und teilt jedem besonders aus, wie er will. (πάντα δὲ ταῦτα ἐνεργεῖ τὸ ἓν καὶ τὸ αὐτὸ πνεῦμα διαιροῦν ἰδίᾳ ἑκάστῳ καθὼς βούλεται.).

 

Es ist der Geist Gottes, der diese Gaben, welche in den V.8-10 aufgeführt sind austeilt. Dies tut er so, wie er es will! Dass dahinter Gott selbst steht, versteht sich von selbst. Dennoch ist es interessant, dass dies dem Wirken des Heiligen Geistes zugeschrieben wird. In 1.Kor 12,12-18 kommt dann die Darlegung des Leib Christi Gedankens und der Dimension, dass jedes Glied eine Funktion im Leib hat. Hier wird nun stärker die Dienstfunktionen beschrieben (was mit Eph 4,7ff. korrespondiert). Interessant ist, dass dann in 1.Kor 12,18 geschrieben steht:

 

18Nun aber hat Gott die Glieder bestimmt, jedes einzelne von ihnen am Leib, wie er wollte. 19Wenn aber alles einGlied wäre, wo wäre der Leib.

 

Der Dienst als Glied am Leib erwächst aus der Setzung im Leib und diese hat Gott bestimmt[4]. Die Gaben des Geistes aber werden unabhängig von der Setzung im Leib, durch den Geist in und durch die Glieder am Leib gewirkt. Dieses Offenbarungs-Wirken des Heiligen Geistes ist gemäß 1.Kor 12,7 zum Nutzen gegeben“. Das Bedeutet, dass die in 1.Kor 12,8-10 aufgeführten Offenbarungsgaben des Heiligen Geistes zur Auferbauung der Gemeinde gegeben sind.[5]

Somit bildet 1.Kor 12,7 und 1.Kor 12,11 sozusagen den Rahmen in dem die Offenbarungsgaben des Heiligen Geistes aufgeführt werden. Die Frage, ob es sich hierbei um eine umfassende Liste von Offenbarungsgaben des Heiligen Geistes handelt, oder ob Paulus hier mehr eine ad hoc Liste von Gaben aufführt, wird unterschiedlich beantwortet. Oft wird diese Liste mehr zufällig zusammengestellt gesehen, als eine geschlossene Auflistung der Offenbarungsgaben des Heiligen Geistes[6]Wenn aber eine Unterteilung der Charismata, wie hier geschehen, zulässig ist (Punkte: A-B-C), dann müssten wir im NT an anderer Stelle Offenbarungswirkungen des Heiligen Geistes finden, welche diese Liste noch ergänzen würden. Falls dies aber nicht der Fall ist, kann man davon ausgehen, dass wir es hier mit einer umfassenden Beschreibung der Offenbarungsgaben des Heiligen Geistes zu tun haben. 

Dass es sich hierbei nicht um konstante Dienstfunktionen, wie in 1.Kor 12,28 und Eph 4,11 handelt, wird dadurch unterstrichen, dass Paulus dann in 1.Kor 14,1 schreibt:

1Strebt nach der Liebe; eifert aber nach den geistlichen <Gaben>, besonders aber, daß ihr weissagt.

 

Dies weist auf die Liste der Offenbarungensgaben des Geistes, welche Paulus in 1.Kor 12,8-10 aufführt, hin („den geistlichen Gaben“ => 1.Kor 12,1). Damit ist sicherlich nicht der Charismabegriff im weiteren Sinne gemeint (vgl. Charisma Gottes – Christi im soteriologischen Sinne, oder im Funktionalen Sinne gemäß 1.Kor 12,28 / Eph 4,7.11, oder im weiten Sinne von Röm 12,6-8), sondern auf den hier im engeren Kontext verwendeten, in Bezug auf den Heiligen Geist und seiner Offenbarungen innerhalb der Gemeinde durch die Glieder (1.Kor 12,8-10), so wie der Geist Gottes es austeilen will (1.Kor 12,11).  

Die Frage, welche sich nun hieraus noch ergib, ist, wie sich dieses Streben nach den geistlichen Gaben vollzieht? Das Wort, welches hier für eifert übersetzt wird (ζηλόω), steht im Imperativ Präsens aktiv, und bedeutet intensiv nach etwas verlangen. Und da es im Imperativ Präsens aktiv steht, bedeutet, dass wir ständig (durativ) nach diesen Gaben eifrig trachten sollen!

Dies bedeutet sich aktiv nach den Gaben des Geistes auszustrecken, welches sicherlich a) in der Bitte um diese Gaben b) als auch in der Offenheit gegenüber dem Wirken des Heiligen Geistes steht, welches c) aktiv mit den Offenbarungen des Geistes in der Gemeinde rechnet d) weil der Gläubige weiß (Glaube), dass der Geist Gottes durch Offenbarungsgaben in der Gemeinde wirken will und dazu jeden gebrauchen kann. – Dass dieses eifrige Verlangen im Bewusstsein geschieht, dass dadurch den Menschen (in der Gemeinde aber auch Ungläubigen) zum Heil gedient werden soll, ist durch den Kontext deutlich hervorgehoben. Denn sie sollen nach der Liebe trachten (διώκω). Dieses Verb steht ebenfalls im Präsens, Imperativ, aktiv und bedeutet: eilen, rennen, nachlaufen, hinter etwas hersein, etwas erstreben, nach etwas trachten, verfolgen.

Die Motivation des Eifers nach den Geistesgaben, liegt in der Liebe, die man ins Zentrum allen Tuns setzt und welche auch das Eifern nach den Gaben des Geistes bestimmt.



[1]Obwohl dies hier im Präsens Passiv ausgedrückt wird, bedeutet dies nicht, dass dies allein linearen zu verstehen ist. Präsens kann auch iterativ zu übersetzen sein (immer wieder, aber nicht durativ wie im linearen Verständnis). Vgl. Siebenthal.Kurzgrammatik (§366).

[2]The syntax of the gen. in ἡ φανέρωσις τοῦ πνεύματος 1 Cor 12:7 cannot be determined w. certainty. Whether the gen. is subj. or obj. the expr. means the same thing as χάρισμα.“ Arndt, W., Danker, F. W., & Bauer, W. (2000). A Greek-English lexicon of the New Testament and other early Christian literature (3rd ed., S. 1049). Chicago: University of Chicago Press.

[3]Hence we translate this relatively rare word public manifestationrather than simply as manifestation(NRSV, NIV, Collins; cf. NJB, particular manifestation;REB, is seen at work). The genitive πνεύματοςmay perhaps be subjective (what the Spirit manifests), but it is much more probably objective (the operation which manifests the Spirit in public).”Thiselton, A. C. (2000). The First Epistle to the Corinthians: a commentary on the Greek text(S. 936). Grand Rapids, MI: W.B. Eerdmans. 

[4]Fee vermutet, dass dies zurück auf V.7-11 verweist (Vgl. Fee. Korintherbrief :611), doch dies scheint mir unwahrscheinlich. Denn die Gaben des Geistes sind nicht zum dauerhaften Gebrauch dem einzelnen Glied gegeben, die funktionale Setzung aber ist etwas dauerhaftes. Zwar darf die Setzung nicht statisch gesehen werden, der Leib-Christi Gedanken schließt in sich ein organisches-dynamisches Denken mit ein, was aber nicht bedeutet, dass dieses organisch-dynamisch gesetzt sein, nicht auch etwas konstantes in sich schließt. Wohingegen die Offenbarungswirkungen des Heiligen Geistes mehr noch das spontane Offenbarungswirken durch die aufgeführten Gaben in sich schließt. In diese Setzung Gottes hinein werden auch die Gaben des Geistes gegeben und können sich mit der Dienstsetzung verbinden. Dass diese Interpretation möglich ist, darauf scheint mir der Hinweis auf 1.Kor 12,28 zu genügen, welcher wiederum mit Eph 4,7.11 korrespondiert. 

[5]The word translated common goodhere is the same one that was used in 6:12 and 10:23 for that which “is beneficial” in the repeated phrase “not everything is beneficial.” Once we understand this verse in relation to those previous statements about what is beneficial, the place of the gifts of the Spirit in Paul’s thought becomes clearer. They are not given for our own indulgence, but to benefit the community of which we are a part. The expression in 6:12 and 10:23 suggests that our entire lives should be oriented around that which will benefit those around us (and ourselves as well, ultimately).It is entirely natural, then, that the gifts God gives us are intended for the same purpose.Ciampa, R. E., & Rosner, B. S. (2010). The First Letter to the Corinthians(S. 571–572). Grand Rapids, MI; Cambridge, U.K.: William B. Eerdmans Publishing Company.

[6]„ Nowhere does Paul provide a complete list of spiritual gifts. He provides us, instead, with a variety of partial lists (1:5; 12:8–10, 28, 29–30; 13:1–3, 8–9; Rom. 12:6–8; Eph. 4:11 [cf. 1 Pet. 4:11]), no two of which agree completely, and there is no reason to believe that we would come up with an exhaustive list simply by compiling those gifts that Paul happens to mention in these different ad hoclists of representative examples; “Other and different gifts are conceivable.” We have no grounds for believing that Paul himself thought he knew (or could possibly know) the complete range of potential gifts.”Ciampa, R. E., & Rosner, B. S. (2010). The First Letter to the Corinthians(S. 573). Grand Rapids, MI; Cambridge, U.K.: William B. Eerdmans Publishing Company.


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© Marcel Locher (Feedback aller Art kann über: Kontakt zugesandt werden)